Die Gründungsurkunden des Klosters Reichenau
Gefälschte Geschichte – der Schwindel im Skriptorium
Im Paragraf 267 des deutschen Strafgesetzbuches steht „Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Auch der Versuch ist strafbar.“
Über Jahrhunderte hinweg brachten gefälschte Urkunden ihren Urhebern und deren Auftraggebern Macht, Ruhm, Ländereien und Vermögen. Weltliche und kirchliche Ämter wurden auf diese unlautere Weise legitimiert. Ganze Herrschaftsgebiete wechselten den Besitzer durch einen kunstvoll imitierten Federstrich oder ein geschickt gefälschtes Siegel. Sogar ein päpstlicher Thron wurde auf diesem Weg ergaunert. Hass, Verschwörungen und Kriege wurden geschürt, die Verursacher aber zu selten zur Rechenschaft gezogen.
Die Geschichte des Abendlandes ist seit dem Altertum geprägt von maipulierten Bullen, radierten Unterschriften, geschabten Pergamenten und gefälschten Herrschaftsinsignien.
Die „Konstantinische Schenkung“ bescherte den Päpsten jahrhundertelange Macht und Reichtum, bis um 1440 die Schriftgelehrten Nikolaus von Kues und Lorenzo Valla den unbekannten Fälschern auf die Schliche kamen.
Wibald von Stablo, der Leiter der sächsischen Reichsabtei zu Corvey, zählte ebenso wie Petrus Diaconus, Bibliothekar im Kloster Montecassino, zu den erfolgreichsten Urkundenfälschern ihrer Zeit. Guido von Burgund, der Erzbischof von Vienne bleibt aber sicherlich unerreicht. Er ergaunerte sich den Heiligen Stuhl zu Rom und ging als Papst Kalixt II. in die Kirchengeschichte ein. Er war maßgeblich am Zustandekommen des Wormser Konkordates beteiligt.
Es gibt aber auch besonders gelungene Fälschungen, die ihre Epoche überdauert haben. Das beste Beispiel ist eine „päpstliche“ Urkunde, die um 1500 aufgesetzt wurde, um für Santiago de Compostela ein Jubiläums- und Heiliges Jahr einzusetzen. Es wird bis heute in Spanien bis gefeiert. Protest aus Rom war in den vergangenen 520 Jahren nicht zu vernehmen.
Echte Fälschungen und daher wichtige Dokumente der Zeit- und Kulturgeschichte sind die beiden Gründungsurkunden des Klosters Reichenau, die unter den Kürzeln „GLA A 2“ und „GLA A 3“ im Generallandesarchiv zu Karlsruhe aufbewahrt werden. In den Händen des Reichenauer Mönchs und Archivars Udalrich entstanden um 1150 diese besonderen Urkunden, die belegen sollten, dass Karl Martell seinem Bischof Primin die Insel Reichenau zur Klostergründung überlässt und dieses Kloster mit wichtigen Privilegien ausstattet.
Erst 1890 konnte der Historiker Karl Brandi die Urkunden als Fälschungen entlarven. Dennoch sind in diesen Falsifikaten wichtige Informationen zur Gründung des Klosters Reichenau um 720 enthalten. Somit werden die Fälschungen zu wichtigen Informationsbausteinen der Entstehung des Klosters Reichenau und herausragende Exponate der Großen Landesausstellung in Konstanz.